Die kantonale Abstimmungsvorlage in Bern vom 19. Mai 2019

«Fortschritt besteht nicht in der Verbesserung dessen, was war, sondern in der Ausrichtung auf das, was sein wird.» Khalil Gibran

1. Revision des Sozialhilfegesetzes

Worum es geht: Der Grosse Rat des Kanton Bern will, vorwiegend aus Spargründen, die Leistungen der Sozialhilfe reduzieren. Damit soll auch die Motivation gefördert werden, wieder erwerbstätig zu sein.

  • Die Leistungen der Sozialhilfe sollen 8%, bei Jugendlichen 30% tiefer liegen als von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS empfohlen.
  • Reduziert werden kann auch der sogenannte Einkommensfreibetrag, also der Betrag, der von Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger bei einem allfälligen Erwerbseinkommen nicht versteuert werden muss.
  • Die Integrationszulage, also der Betrag, der Erwerbslosen zusteht, wenn sie Leistungen für ihre berufliche Integration erbringen, soll seltener ausgerichtet werden, kann aber in Einzelfällen auch erhöht werden.

Das integrale Zukunftsbild: In einer integralen Gesellschaft tragen Familie, Nachbarschaft und Staat gemeinsam zum Wohl aller bei. Eine gesunde Finanzlage des Staates ist allen wichtig, doch dazu trägt vor allem ein gerechtes Steuersystem bei. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen Würde, Sicherheit und Wertschätzung aller.

Abstimmungsempfehlung: Wir empfehlen: NEIN

Unsere Überlegungen dazu:

  • Es ist richtig, bei Sozialhilfe-Empfangenden den Wiedereintritt in das Erwerbsleben zu fördern. Doch ist hier vor allem auch die Arbeitgeberseite gefordert.
  • Es ist in der jetzigen Situation richtig, den Kanton für Unternehmen attraktiv zu machen. Doch besser wäre es, den ruinösen Steuerwettbewerb unter den Kantonen zu beenden.
  • Solange das Steuersystem eine immer grösser werdende Armutsschere zulässt, darf zum Sparen nicht auf sozialabhängige Menschen zugegriffen werden.

2. Volksvorschlag für eine wirksame Sozialhilfe

Worum es geht: Verschiedene politische Parteien und im Sozialbereich tätige Institutionen haben einen Volksvorschlag zum revidierten Gesetz des Grossen Rates erarbeitet. Dieser soll die schlimmsten finanziellen Verschlechterungen in der Fassung des Grossen Rates abwenden und längerfristig wirksame Massnahmen im Gesetz verankern.

  • Die wirtschaftliche Hilfe wird gemäss den aktuellen Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS ausgerichtet.
  • Für berufliche Weiterbildungs- und Qualifikation stellt der Kanton entsprechende Angebote zur Verfügung. Dadurch sollen die Menschen, die Sozialhilfe beziehen, ganz oder teilweise in den Arbeitsprozess eingegliedert werden.
  • Die Wirtschaft beteiligt sich mit Angeboten an der Arbeitsintegration.
  • Die über 55-jährigen Arbeitslosen erhalten anstelle von Sozialhilfe Ergänzungsleistungen.

Das integrale Zukunftsbild: Die Sozialhilfe soll Würde und Sicherheit der Menschen gewährleisten. Auch weniger begüterte Menschen haben die Möglichkeit, sich ihren Fähigkeiten entsprechend in die soziale Gemeinschaft einzubringen, und dies unabhängig von Stellung und Einkommen. Eine ausgewogene Verteilung von institutioneller und gegenseitiger mitmenschlicher Unterstützung im Alltag begrenzt die Abhängigkeit von staatlichen Einrichtungen, fördert die Eigenverantwortung und trägt zum Selbstwertgefühl bei.

Abstimmungsempfehlung: Wir empfehlen: JA

Unsere Überlegungen dazu:

  • Die aktuelle Situation der betroffenen Menschen soll im Zentrum stehen.
  • Sozialhilfe ist auf Integration und Nachhaltigkeit ausgerichtet.
  • Sparen auf Kosten der am wenigsten Begüterten ist ethisch nicht vertretbar.

Das besondere Anliegen der IP:

Mit weniger materiellen Gütern gut zu leben, ist ein aktuelles Thema, das alle Menschen angeht. Ein guter sozialer Zusammenhalt, gegenseitige Wertschätzung und die Möglichkeit zur Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten stehen auch im Zusammenhang mit einer gerechteren Verteilung der materiellen Güter. Solange diese derart ungleich verteilt sind und der Kampf um Einzelinteressen im Vordergrund steht, wird es immer Menschen geben, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen und oft wenig Wertschätzung erfahren können.

Erklärung zum Vorgehen und zum Ziel des Politischen Kommentars

Der politische Kommentar der IP Bern ist das Ergebnis eines Prozesses zur Findung einer integralen Position zu kantonalen Abstimmungsvorlagen. Dabei wird ermittelt, ob eine Vorlage einen Schritt in die Richtung einer Vision einer integralen Gesellschaft bedeutet und damit einen Beitrag leistet zur Transformation der Gesellschaft, oder ob das Anliegen translativ, das heisst nur eine im Kreis drehende Variante des Bestehenden ist. Die Vorlagen werden in der Projektgruppe „Kantonale Politik“ der IP Bern erarbeitet. Die Verantwortlichen für diese Ausgabe sind: Werner Kaiser, Elisabeth Klingenbeck, Daniel Lévy, Yvonne Vörös und Veronika Wyss.entars

Das Ergebnis dieses Ermittelns findet Ausdruck in einer Empfehlung, die dann ihre gewünschte Wirkung erzielt, wenn die Leserinnen und Leser sich animiert fühlen, mit ähnlichen, visionsorientierten Überlegungen zu ihrem je eigenen Ergebnis zu kommen. Das Ziel einer integralen Position ist es nicht, Recht zu haben, sondern die Menschen zu mehr Bewusstheit zu führen.

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