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Charles Eisenstein: Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich.

Es ist eine belebende Erfahrung, Teil der IP-Lesegruppe zu sein. Sie hat sich Anfang 2020 konstituiert. Seither treffen wir uns – unterbrochen von der Zoom-Phase während der Pandemie – ca. alle 5 Wochen im lichten Wohnraum von Regula Bayer in Zürich, um miteinander über das Gelesene zu diskutieren. (Danke Regula für deine Gastfreundschaft!) Angefangen haben wir mit Ken Wilberts Integrale Meditation (dt. Ausgabe 2017). Es folgte Integrale Lebenspraxis (dt. Ausgabe 2010) von demselben Autor. Seit Dezember letzten Jahres lesen wir Charles Eisensteins Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich (2020, amerikanische Originalausgabe: The More Beautiful World Our Hearts Know Is Possible, 2013) Ein Titel, der in meinen Ohren zwar ziemlich schnulzig klingt, aber das Buch hat es in sich, vor allem für Menschen, für die das übliche Fortschrittsmodell gesellschaftlicher Entwicklung an Glaubwürdigkeit eingebüsst hat.  

Dieses Fortschrittsmodell heisst bei Eisenstein die Geschichte der Separation; sie ist die paradigmatische Erzählung über das Wesen der Welt, die tief im Selbstverständnis der Moderne verankert ist. Die Geschichte der Separation zielt darauf ab, den Menschen mit fortschreitender Verfügungsgewalt über die unterworfene Natur auszustatten und dem separaten Selbst alle Möglichkeiten zur Selbstoptimierung in einem ökonomisierten Alltag zu geben. «Umwandlung von Natur in Waren, von Gemeinschaft in Märkte und Beziehungen in Dienstleistungen» (74) lautet die zugrundeliegende Devise. –  Dieser Geschichte der Separation setzt Eisenstein die Möglichkeit einer anderen Erzählung von der Welt gegenüber, nämlich die Geschichte des Interbeing, «die Geschichte vom Zeitalter der Wiedervereinigung» (27), und das Buch versteht sich als Verbündeter mit all jenen, die zu der neuen Geschichte unterwegs sind (47). Doch «die neue widerlegt die alte nicht, sondern schliesst sie ein und hebt sie auf.» (55) Anstelle der alten, Verzweiflung und Ohnmacht generierenden Annahme eines im Grund toten und blinden Universums erlaubt der Mythos des Interbeing, «die Vorstellung von Materie zu erweitern, bis sie auch Eigenschaften des Geistes umfasst» (86) und «uns für neue wissenschaftliche Paradigmen zu öffnen, die bestätigen, dass das Universum bewusst, zweckbestimmt und ganz ist».  Der neue Mythos erzählt davon, «dass sich die Menschheit vollständig der Gemeinschaft allen Lebens auf Erden anschliesst» (28) und «wir die Fähigkeiten, die uns als Menschen eigen sind, dem Wohl und der Entwicklung des Ganzen zur Verfügung stellen» (ebd.)

Faszinierend finde ich, wie Eisenstein zeigt, dass die Geschichte der Separation (angesichts wachsender Kollateralschäden) die Macht als Leit-Mythos bereits für viele verloren hat, während die Geschichte des Interbeing als neuer Rahmen des Welt- und Lebensverständnisses an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft gewinnt. Wie ein roter Faden jedoch durchzieht das Buch die Warnung vor einem selbstgerechten, ideologisch überhöhten Aktivismus, der – statt Zugehörigkeit, Gemeinschaft und dienende Hingabe zu vertiefen – nur neue Gräben aufreisst bzw. neue Feindseligkeit schafft. So heisst denn auch das Motto, das Eisenstein seinem Buch voranstellt: «Für die Bescheidenen, deren unsichtbare Entscheidungen die Welt heilen.» 

Es ist schön zu erleben, wie die eigene Lektüre durch die Stimmen und Impulse der (im Moment neun Personen umfassenden) Runde an Tiefe, Umfang, Nachhaltigkeit gewinnt und so regelrecht potenziert wird. Und ehrlich gesagt: ich geniesse es, regelmässig mit Menschen zusammen zu sein, die auf dem Weg zu einem integralen Geist sind, der zweifellos selbst durch die Lektüre dieses Buches wieder gefördert wird.

Charles Eisenstein: Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich. 6. Auflage. Scorpio Verlag Berlin. München 2020
(Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe)

Andreas Meier, Illnau

2 Antworten

  1. Bin zufällig auf diesen Artikel gestossen und freue mich sehr, dass es überall (wenn auch) kleine aber beherzte Runden gibt, welche sich diesem Thema des Interbeing hingeben.
    Ich werde mir dieses Buch auch besorgen.
    Vielen Dank für den Input!

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