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Integrale Führung und Organisationsentwicklung 

Führung aus einem ganzheitlichen Bewusstsein

Einleitung 

Die vorliegenden Ausführungen formulieren die Prinzipien einer integralen Führung und Organisationsentwicklung. Die Integrale Politik beispielsweise strebt einen integralen Organisationsaufbau mit entsprechend integraler Führung an. Diese Ausführungen basieren einerseits auf dem Konzept der Holakratie (im frankophonen Sprachraum eher unter Soziokratie bekannt) und andererseits auf den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte im Management. 

Diese Ansätze einer integralen Führungs- bzw. Organisationspraxis sollen den komplexen Anforderungen auf der integralen Stufe individueller und kollektiver Bewusstseinsentwicklung gerecht werden. Dabei werden die unterschiedlichen Bedürfnisdimensionen des Menschen berücksichtigt und die Errungenschaften der bisherigen Entwicklungsstufen so weit als möglich integriert. 

Die nachfolgenden Erklärungen und Darstellungen sind Richtlinien. Es geht darum, diese in der Praxis umzusetzen und die laufenden Erfahrungen als Lernprozesse für die Weiterentwicklung der Organisation zu verstehen. Dies gilt auch im Sinne der angestrebten Führungsentwicklung aller Einzelpersonen und Gruppen, die innerhalb einer Organisation Führungs- und Koordinationsaufgaben wahrnehmen. 

Verwendete Begriffe 

Holon 

Ein Holon ist ein Ganzes, welches zugleich Teil eines grösseren, umfassenderen Ganzen/Holons ist. Ein Holon ist also gleichzeitig ein Teil und ein Ganzes. Jedes Holon besitzt einerseits einen Grad an Autonomie (Selbstorganisation, Eigengesetzlichkeit) und ist andererseits in das grössere Ganze und dessen Gesetzmässigkeiten eingeordnet.  

Holarchie 

Eine Holarchie ist eine verschachtelte Struktur von Holons vom Kleineren zum Grösseren (Babuschka, Babuschka, Babuschka…). So ist z.B. die Reihe «Atom – Molekül – Makromolekül – Organelle – Zelle – Gewebe – Organ – usw.» eine biologische Holarchie. Eine Holarchie der kulturellen Bewusstseinsstufen wäre jene von Jean Gebser: «archaisch – magisch – mythisch – mental – integral». Ähnliche Holarchien finden sich in der Entwicklungspsychologie des Individuums wie etwa von Jean Piaget, Lawrence Kohlberg oder Susanne Cook-Greuter beschrieben. 

Quadranten 

Zur Analyse der Wirklichkeit hat Ken Wilber vier grosse Betrachtungsweisen resp. Perspektiven vorgeschlagen. Er nennt sie Quadranten. Auf der linken Seite der vertikalen Kreuzlinie stellt er die zwei subjektiven Perspektiven dar, also die Betrachtungen von innen. Rechts davon sind die zwei objektiven Sichtweisen, also die Betrachtung von aussen. Auf der oberen Ebene der horizontalen Kreuzlinie sind die zwei Perspektiven, welche das Individuum (Einzahl) betrachten und auf der unteren Ebene sind die zwei Blickwinkel, welche die Kollektive/Gruppen (Mehrzahl) untersuchen. 

OBEN LINKS (OL) 
Individuum, innen  Individuelle Entwicklung aller vier Seinsebenen (Bewusstseinsentwicklung), innere Wahrnehmungen, Absicht, persönliche Meinungen  Psychologie, Phänomenologie, Interpretation 
OBEN RECHTS (OR) 
Individuum, aussen  Materielles/Handfestes/Konkretes, Wissenschaftliche Untersuchung, individuelles Verhalten und Handeln   Biologie, Physik, Chemie, Biochemie 
UNTEN LINKS (UL) Kollektiv/Gruppe, innen  Gemeinschaft/Miteinander, Werte, Kultur, Religion, Moral, Ethik, Regeln, Beziehungen, Kommunikation   Weltbilder, Symbolik und ihre (Be)Deutung UNTEN RECHTS (UR) Kollektiv/Gruppe, aussen  Auftreten/Erscheinungsbild von Gruppen, Gruppendynamik und -Prozesse, Organisationsformen, Institutionen, Verfassungen, Gesetze  Soziologie, Politologie, Anthropologie, Sprachen 

Quadranten nach Wilber 

Integrale Führungskultur 

Integrale Führungskultur (UL) ist die der integralen Organisationsstruktur (UR) angemessene Führungsweise. Da aber bis heute erst wenige Individuen und Organisationen einen integralen Bewusstseinsstand erreicht haben, stellt integrale Führung einen idealtypischen Zustand dar. Wir versuchen im Folgenden, das Modell von Führung in seiner idealen Ausprägung zu umschreiben ohne die Wichtigkeit und Notwendigkeit früherer Entwicklungsstufen zu mindern. Dieses Führungskonzept kann mit dem Quadrantenmodell von Ken Wilber dargestellt und auf dem integralen Modell der menschlichen Bewusstseinsentwicklung nach Jean Gebser aufgebaut werden. 

Feldbildung 

Feldbildung ist ein Aspekt der integralen Führungskultur. Wenn eine Gruppe zusammenarbeitet, um die Kreativität der Mitglieder und die «kollektive Intelligenz» der Gruppe zu wecken, welche die Kompetenzen der Individuen weit übersteigt, nennen wir das Feldbildung. Diese ist von grosser Bedeutung. Es geht darum, alle Teilnehmerinnen und Teil nehmer des jeweiligen Kreises auf das aus dem Prozess emergierende Ziel hin auszurichten. Feldbildung führt zu hoher Kreativität und Effizienz. 

Holakratie 

Holakratie, wörtlich «Herrschaft der Holons», ist sowohl Entscheidungspraxis als auch Organisationsform und Organisationskultur, die es einem Komplex von miteinander verschachtelten Funktionseinheiten (Holons) erlaubt, sich selbst zu «regieren» (Selbstorganisation), indem sie den Willen oder Zweck (telos) der gesamten Organisation in den Blick nimmt und diesen zugleich stets neu zum Vorschein bringt. 

Holakratie kann als Weiterentwicklung bekannter Organisationspraktiken wie TopDown-Hierarchien (mythisch), strategisches Effizienzmanagement (rational), demokratische Bottom-Up-Hierarchie (rational-pluralistisch) und «postmodernen» antihierarchischen Teamprozessen (pluralistisch) verstanden werden. Sie zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität und Integrationskraft aus. Die bisher bekannten Verfahren werden integriert und dort zur Anwendung gebracht, wo sie funktional und sinnvoll sind sowie dort erweitert, wo sie sich im Hinblick auf den Organisationszweck als unzureichend bzw. dysfunktional erweisen. Daher erscheint Holakratie als ideale Organisationsform für die komplexeren Entwicklungsstufen, mit anderen Worten: für integrale Organisationen. 

Wie die meisten «modernen» Theorien hat auch Holakratie verschiedene Vorläufer und Bezüge zu älteren ähnlichen Modellen. Eine wichtige Wurzel ist die vom niederländischen Reformpädagogen Kees Boeke um 1945 vorgestellte Soziokratie (a «democracy as it might be» wie er im Untertitel seiner Schrift schreibt). Gerard Endenburg, ein Schüler von Boeke, entwickelte den Ansatz weiter, und der US-Amerikaner Brian Robertson führte das Konzept gemeinsam mit Tom Thomison in seiner Firma ternary software in langjährigen Trial-and-Error-Experimenten ein und nannte es «holacracy». 

Holakratie ist nicht allein eine Organisationsform (UR), sondern eine umfassende Praxis, die sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Elemente ergibt. Die Organisationsform selbst kann also nur dann nachhaltig funktionieren, wenn auch in allen anderen Quadranten bestimmte Bedingungen erfüllt sind bzw. im Blick behalten werden. Diese sind vor allem eine die holakratische Praxis tragende integrale Kultur (UL), zumindest auf der Leitungsebene, die durch ausreichend weite Wahrnehmungsräume (OL) ermöglicht wird und sich in entsprechenden Verhaltensmustern äussert (OR). 

Vorbemerkungen 

Holakratie fördert die Bewusstseinsbildung 

Holakratie versucht einen überpersonalen Raum herzustellen und zu nutzten. Dieser Raum ermöglicht eine dynamische Lenkung und Steuerung der Organisation aus ihrem eigenen Willen heraus. Indem nun alle Beteiligten konstruktiv in diesen Prozess einbezogen werden, gelingt es Holakratie, Personen auf ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen einzubinden und Vertreter verschiedener Wertesysteme gleichzeitig anzusprechen. 

Tatsächlich ist es keineswegs Bedingung, dass alle Beteiligten auf derselben Bewusstseinsebene sind. Vielmehr scheint die Erfahrung gelingender holakratischer Praxis umgekehrt sogar die individuelle Bewusstseinsentwicklung signifikant zu fördern. Wenngleich sich der Wille der Organisation oder eines ihrer Holons also vom Willen der einzelnen Menschen darin unterscheidet, lösen sich partikulare Bedürfnisse durch die Erfahrung von Holakratie häufig alsbald in der synergetischen und damit lebensdienlichen, Sinn stiftenden gemeinsamen Aktion auf. 

Organisationsform 

Als Organisationsprinzip basiert Holakratie auf der Vorstellung von Organisation in Kreisfeldern (Holons), die wie Zwiebelschalen holarchisch ineinander verschachtelt und durch so genannte «Doppelverbindungen» miteinander verbunden sind. Die Doppelverbindung dient der Kommunikation zwischen den Organisationseinheiten (Holons). 

Dabei vertreten jeweils 1-2 Mitglieder eines Funktionskreises diesen im nächst höheren Kreis und umgekehrt. Auf diese Weise wird der Fluss von Information und Kreativität zwischen den Holons optimiert. Daher ist es sinnvoll, dass in Treffen stets Raum für Informationen von oben nach unten und von unten nach oben eingeräumt wird. 

Holakratie geht davon aus, dass sich Organisationen in einem kontinuierlichen Veränderungs- und Evolutionsprozess befinden, «dass eine Organisation zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine, und nur eine natürliche, ideale Struktur der Organisation hat, die es in einer Art «Detektivarbeit» aufzuspüren gilt» (Brian Robertson). Dabei geht es darum, lauschen zu lernen, «welches Muster die kollektive Struktur mit unserer Hilfe erschaffen» will und welche Entscheidungen sie (zu diesem Zweck) treffen will. 

Die Dynamik der Organisationsentwicklung wird durch die sich verändernden Bedürfnisse der Organisation oder einzelner ihrer Teile bestimmt. Denn mit dem Auftauchen neuer Aufgaben und Herausforderungen werden nicht nur neue Rollen/Verantwortlichkeiten definiert, sondern mitunter auch neue Funktionskreise gebildet, um auf die jeweiligen Bedürfnisse und Herausforderungen angemessen antworten zu können. 

Für das Freilegen neuer Strukturen und Funktionskreise durch beständiges «Einstimmen und Lauschen» benötigen alle Holons die richtige Mischung aus Autonomie, Zeit und Verantwortung, das heisst sowohl klare Aufgaben als auch Freiräume zur Entfaltung ihrer Potenziale bei der Lösung dieser Aufgaben 

Integrale Führungskultur 

Dynamische Steuerung 

Das strategische Denken und Planen wird ergänzt durch dynamische Steuerung – die Vorstellung dynamisch fliessender Prozesse und das Vertrauen in die vielfältigen Intelligenzen des Systems und seiner Mitglieder tritt in den Vordergrund. 

Seinen Platz finden 

Der Einzelmensch (Ich) findet seinen Platz im gemeinsamen Projekt (Wir). Der Einzelne wird daher nicht als isoliertes Individuum oder anonymer Teil eines Kollektivs betrachtet, sondern als Holon, d.h. als eigenständiger und gleichzeitig verbundener Teil (meist für einen bestimmten Bereich auch eigenverantwortlicher Teil) eines grösseren Ganzen. Es geht jeweils darum, die beste Lösung für das Ganze zu finden bei gleichzeitiger Berücksichtigung der legitimen Bedürfnisse der einzelnen (Holons). Die Rolle des Einzelnen innerhalb der Organisation wird dadurch aufgewertet, dass seine/ihre jeweilige Perspektive als Fachmann/-frau, Rollen- oder Funktionsinhaber/in als unverzichtbare Informations- und Datenquelle verstanden und als solche konsequent in die Prozesse der dynamischen Steuerung integriert wird. 

Verhältnis von Hierarchie zu Holarchie 

Auch Holarchien sind hierarchisch geordnet im Sinne von Hierarchie als Ordnungsstruktur. Allerdings wer- den die Strukturen relativ flexibel und fliessend. Im Zentrum stehen die Fragen: «Wofür bin ich verantwortlich? Was kann ich zum Wohl des jeweiligen Holons beitragen?» Rollen und Verantwortlichkeiten werden dabei stets transparent und bewusst gemacht und gemäss Kompetenz für konkrete Aufgaben vergeben, was auch die Erwartungen der Betroffenen klären kann. 

Integrale Führung 

Integrale Führung beinhaltet die Kompetenz, die Intelligenzen der einzelnen Holons zu mobilisieren und in einen Prozess der Aktivierung kollektiver Intelligenz zu überführen (ähnlich der Kunst, ein Orchester zu dirigieren), das Zusammenfliessen aller Kompetenzen zu ermöglichen und im Blick auf die gemeinsame Ausrichtung konstruktiv zu kanalisieren. 

Dienende Haltung 

Einen holakratischen Prozess anzuleiten heisst vor allem: Räume dafür zu schaffen, dass sich der «Wille der Organisation» bzw. des jeweiligen Holons zeigen kann, während gleichzeitig eine bestimmte Ausrichtung (gemäss Planung, vereinbarten Zielen usw.) gehalten wird. Die Führung einer holakratisch strukturierten Organisation erfordert daher eine dienende, Kommunikation fördernde Haltung, die zugleich das Ziel im Blick behält und präsent bleibt, um die realen (subjektiven und objektiven) Daten aus der (inneren und äusseren) Umgebung aufzunehmen und die gewählten Massnahmen zur Erreichung des Ziels auf dieser Grundlage kontinuierlich zu adaptieren. 

Dabei ist Führung als eine bestimmte (Rollen-) Verantwortlichkeit zu verstehen, als die Koordination fliessender Abstimmungsprozesse zwischen den beteiligten Holons und Rolleninhabern im Hinblick auf das übergeordnete Ziel. 

Führungspersönlichkeiten erkennen, dass die Führungsarbeit in einer holakratischen Organisation zwar hohe Anforderungen stellt, aber gegenüber einem herkömmlichen Führungsverständnis auch eine spürbare Entlastung bringt. Sie stehen immer wieder vor den Fragen «Nehme ich die Gruppe subtil genug wahr und bin ich genügend aufmerksam, dass ich die sich bildenden Entscheidungen erkennen und benennen kann?» 

Intuition als Steuerungsprinzip 

Die günstigste Haltung könnte die von Jean Gebser geprägte sein, nämlich die so genannte aperspektivisch-integrale Position: Der Betrachter ist dabei weder mit einer einzelnen Perspektive noch mit mehreren Perspektiven identifiziert, er löst sich aus allen Identifikationen. Flexibilität ist angesagt, zwischen den Perspektiven wird gewechselt, dann wendet man sich wieder vertieft und möglichst nicht identifiziert einer speziellen Perspektive zu. 

Dadurch wird die Intuition zum Steuerungsprinzip. Sie ist das, was den Prozess unseres Erlebens zunächst relativ unbewusst lenkt. In achtsamer, bewusster, intuitiver Haltung sind wir in der Lage, die verschiedenen Perspektiven einzunehmen und die komplexen Informationen auf uns wirken zu lassen. 

Wesentliche Konsequenz des dargestellten Führungsverständnisses ist, dass im strengen Sinne sowohl jede einzelne Person als auch das Gremium die Verantwortung für das Funktionieren einer Organisation übernehmen. Trotzdem können – wie wir alle aus Erfahrung wissen – einzelne Personen einen stärkeren oder schwächeren Einfluss ausüben. Dies ist auch sinnvoll, wenn dadurch grössere Erfahrung, spezielles Wissen – kurz die spezifische Kompetenz dieser Personen dem Zweck der Organisation dient. 

Führen mit Herz 

Leitung setzen wir mit «Führen mit Herz» gleich, so dass wir klar sehen und erkennen, visionär, fokussiert und zielorientiert denken und handeln, empathisch wahrnehmen, uns verbunden fühlen und einander sowie dem Grösseren vertrauen. Dabei lassen wir krampfhafte Vorstellungen und Überzeugungen los, wie das Leben, die Führung zu sein hat und geben uns der eigenen inneren Weisheit hin – uns also nicht bloss selbst zu führen, sondern sich auch führen zu lassen. 

Im Ergebnis werden Entscheidungen und Lösungen nicht «gemacht», sondern sie tauchen im Zuge des Prozesses auf: als Ausdruck kollektiver Intelligenz. 

Prozesse, Entscheidungspraxis, Konflikte 

Dynamische Steuerung fliessender Prozesse ist ein Ansatz des pragmatischen Experimentierens und Adaptierens bei gegebener integraler Ausrichtung. Ziel ist es, jeweils eine Entscheidung/Lösung im Moment zu finden und nicht die für alle Zeiten beste Entscheidung. 

Von angstbasiertem Perfektionismus zu pragmatischen, angstfreien Lösungen 

Wenn wir im gemeinsamen Feld offen sind für Intuition und Feld, ergeben sich Entscheidungen schnell und effektiv, die beim Auftauchen neuer Gegebenheiten auch leicht modifizierbar sind (Flow). Vertrauen, Kreativität und Begeisterung wachsen. Die herkömmliche Angst vor Fehlentscheidungen verschwindet. Da Entwicklung grundlegender Bestandteil des Selbstverständnisses ist, beinhalten holakratische Entscheidungen stets ein Moment der Offenheit. Zusätzlich findet ein Wechselspiel statt von Planung («da wollen wir hin»), situativem Steuern und der Offenheit für neue Erkenntnisse. 

Subjektive Daten konstruktiv zusammenführen 

Reibungsverluste, Polarisierungen oder Konflikte resultieren häufig aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten. Um dies zu vermeiden, werden in holakratischen Prozessen subjektive Daten, also subjektive Erfahrungen oder Meinungen der Teilnehmenden, systematisch in den Entscheidungsprozess integriert. Auf diese Weise werden Spannungen, Kommunikationsprobleme oder Hindernisse, die auf unterschiedliche Wahrnehmungen, Interpretationen und Rationalitäten der Beteiligten zurückgehen, zusammengeführt und für eine möglichst umfassende (integrale) Beurteilung der jeweiligen Situation bewusst nutzbar gemacht. 

So können subjektive Daten zu wichtigen Indikatoren von Fehlentwicklungen werden und einen rechtzeitigen Richtungswechsel ermöglichen, anstatt die Anpassungs-, Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit der Gesamtorganisation zu untergraben. 

Die Rolle des Moderators 

Besondere Bedeutung kommt im holakratischen Prozess dem Moderator zu. Er/Sie ist dafür verantwortlich, Einwände auf ihren tieferen Gehalt hin zu prüfen und wenn nötig auch zurückzuweisen. Ziel ist dabei immer, die in der Perspektive eines jeden Individuums/Holons einerseits beinhaltete Kreativität freizusetzen und andererseits die in Einwänden möglicherweise angesprochenen Toleranzgrenzen (eines Teilsystems) der Gesamtorganisation im Blick zu behalten. Subjektive Vorlieben oder Abneigungen gelten nur dann als Einwände im Sinne von Holakratie, wenn sie die Überschreitung einer objektiven (sachlich relevanten und intersubjektiv nachvollziehbaren) Grenze sichtbar machen. 

Entscheidung durch Konsent 

Beim Konsentverfahren wird im Ergebnis des moderierten Prozesses eine Situation angestrebt, in der gegen eine bestimmte pragmatische «Entscheidung zum Weiterarbeiten» keine hochrangigen Einwände mehr bestehen. 

Nach einleitendem Raum für Fragen und «Befindlichkeiten» werden nur Argumente zugelassen, die entweder konstruktive Lösungsvorschläge beinhalten oder Schwierigkeiten benennen, die mit einem bestimmten Lösungsvorschlag verbunden sind (Einwände). Auf diese Weise wird eine sachlich-fokussierte, zugleich konstruktive und konzentrierte Arbeitsatmosphäre geschaffen, die die Beteiligten sowohl dazu zwingt, eigene Wahrnehmungen zu erkunden und ernst zu nehmen, als auch abzuwägen, welcher Natur etwaige Bedenken sind, und inwiefern sie zu Gunsten einer pragmatischen Lösung zurückgestellt werden können. Entschieden ist eine Sachfrage, sobald kein erheblicher Einwand mehr dem Entscheid entgegen- steht. Mittels Konsent können situativ auch andere Entscheidverfahren gewählt werden, z.B. die Delegation «autokratischer» Entscheidungsbefugnisse an eine Einzelperson für klar definierte Organisationsbereiche, demokratische Abstimmungen oder sogar das Werfen einer Münze in Fällen, die anders nicht entscheidbar sind. 

Integrale Konfliktlösungen 

Manchmal gilt es, Entscheidungen in schwierigen Situationen zu finden oder Konflikte zwischen verschiedenen Parteien zu lösen. Eine grundlegende Voraussetzung zur Konfliktbeilegung ist, sich selbst wahrzunehmen und sich bewusst zu werden, was die Situa tion im Innern auslöst. Erst dann sind wir in der Lage, die vorhandenen Gegensätze zu übersteigen und auf integrale Weise die Verstrickung der Kontrahenten in ihren eigenen Ängsten und Wünschen wahrzunehmen. Im Wissen um das eigene Verwirrungspotenzial verstehen wir besser, was sie bewegt. Oft bewährt es sich, eine Stille von einigen Minuten vorzuschlagen. Dies öffnet den Raum, um nach innen zu hören als Voraussetzung für einen Lösungsweg. Durch bewusste Feldbildung kann das gemeinsame Ziel aller Beteiligten wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Dadurch treten persönliche Motive zurück. Für den Moderator in Konfliktsituationen ist die Fähigkeit wichtig, heilsam mit der in ihm selbst anklingenden Resonanz der Situation und der Personen umzugehen und zugleich wahrzunehmen, in welchem Zustand von Verstrickung sich die beteiligten Personen bzw. Parteien allfällig befinden. Wesentlich lösungsfördernd ist dabei die Gabe der liebevollen Zuwendung («Führung mit Herz»): Sie ist gleichzeitig Wirkkraft zum Wandel wie auch Öffnung zum klärenden inneren Wissen. Weitere Ausführungen dazu finden sich im erwähnten Gruppenpapier

Die Prozessbeobachtung 

Das Einbeziehen eines Prozessbeobachters / einer Prozessbeobachterin bei Arbeitssitzungen und Gruppenzusammenkünften fördert integrales Lernen und Handeln auf der persönlichen wie der gemeinschaftlichen Ebene und unterstützt zukunftsweisende Entwicklungsprozesse. Dem Moderator sowie auch allen übrigen Teilnehmenden bietet sich dadurch eine Möglichkeit, die eigene Perspektive um eine (zumindest relative) Aussenperspektive zu erweitern. Denn die Aufgabe der den Prozess beobachtenden Person ist es, mit einem ‚doppelten Blick’ präsent zu sein: sich der eigenen Annahmen und Erwartungen möglichst so bewusst zu sein, als käme es nur auf sie an und gleichzeitig so sensibel und aufmerksam für die aktuelle Situation und die verschiedenen Ebenen des Gruppenprozesses im Kontext der inhaltlichen Arbeit zu sein, als wäre diese völlig neuartig. 

Eine integrierte, lebendige Kultur der kompetenten Prozessbeobachtung birgt das Potential, Entwicklungs- und Transformationsprozesse zu initiieren, zu begleiten und evaluierend zu reflektieren. 

Die Rolle des Prozessbeobachters / der Prozessbeobachterin 

Merkmale einer guten Prozessbeobachtung sind: 

  • Der/die Beobachtende (und gleichzeitig Teilnehmende) kann Distanz zum Geschehen herstellen und dadurch die Abläufe unvoreingenommener wahrnehmen. Er ist z.B. nicht emotional involviert 
  • Sie unterliegt keinem Handlungsdruck 
  • Er kann sich auf die Beobachtung konzentrieren und dadurch den Sitzungsleiter entlasten 
  • Sie kann Beobachtung und Interpretation klar unterscheiden, sie wertet nicht 
  • Die Rückmeldung an die gesamte Gruppe bezieht sich allein auf das beobachtete Verhalten und die sich entwickelnden Abläufe 
  • Die Prozessbeobachtung bleibt stets darauf ausgerichtet, wie die Gruppe in der Gegenwart arbeitet 

Merkmale integraler Führungspersonen 

Entsprechend dem Prinzip der Holarchie wählen die Gremien oder Wahlorgane jene Personen in Führungs- oder Repräsentationsaufgaben, welche: 

  • ein umfassendes Bewusstsein aufweisen 
  • viele Perspektiven einnehmen und wieder verlassen können 
  • eine ausgeprägte Empathie und Liebesfähigkeit aufweisen 
  • die Vision in Haltung und Wort authentisch vertreten 
  • die Fähigkeit hat, klar zu denken und zu formulieren 
  • jene Fachkompetenzen mitbringen, die für die spezifische Funktion erforderlich sind 

Erfüllt eine Führungsperson die Erwartungen der ganzen Gruppe/Organisation nicht mehr, kann sie abgewählt und durch eine Person, die dafür geeigneter ist, ersetzt werden. 

Schlussbemerkung 

Der Wind des Geistes integralen Führens, der in diesem Dokument zu beschreiben versucht wird, möge durch alle Organe und Gruppen der Integralen Politik wehen. 

Erstellt von der Kommission ORGANISATIONSENTWICKLUNG. 
Genehmigt von der Programmkommission am 1. Dezember 2010. 

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