Die eidgenössischen Abstimmungsvorlagen vom 24. November 2024

«Fortschritt besteht nicht in der Verbesserung dessen, was war, sondern in der Ausrichtung auf das, was sein wird.» Khalil Gibran

 

Erklärung zum Vorgehen und zum Ziel des Politischen Kommentars

Der politische Kommentar der IP Schweiz ist das Ergebnis eines Prozesses, mit dessen Hilfe integrale Positionen zu eidgenössischen Abstimmungsvorlagen gefunden werden. Dabei wird ermittelt, ob eine Vorlage einen Schritt in die Richtung einer Vision einer integralen Gesellschaft bedeutet, das heisst, einen Beitrag zur Transformation der Gesellschaft leistet, oder ob das Anliegen nur eine sich im Kreis drehende Variante des Bestehenden ist. Die Vorlagen werden vom Politischen Ausschuss der IP Schweiz beurteilt.

Das Ergebnis dieses Ermittelns entspringt einer Momentaufnahme und findet Ausdruck in einer integralen Abstimmungsempfehlung mit konkreten Begründungen.

Das Ziel des Kommentars ist es, die Leserinnen und Leser zu animieren, mit ähnlichen, visionsorientierten Überlegungen zu ihrem je eigenen Ergebnis zu kommen. Das Ziel einer integralen Position ist es nicht, Recht zu haben, sondern die Menschen zu mehr Bewusstheit zu führen.

Die Verantwortlichen für diese Ausgabe sind: Pierrot Hans, Pascal Furrer, Remy Holenstein, Kathrin Schelker, Tizian Frey

 

 
 

1 – Bundesbeschluss über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen 

 

Was die Vorlage will

Der Bundesrat möchte die leistungsfähigen Verkehrsinfrastrukturen weiter ausbauen, weil sich der Verkehr auf den Nationalstraßen seit 1990 mehr als verdoppelt hat und an verschiedenen Stellen sich gelegentlich staut. Insbesondere sollen Engpässe im Nationalstraßennetz durch sechs punktuelle Ausbauten beseitigt werden. Für diese Projekte sind 4,9 Milliarden Franken vorgesehen. Gegen diesen „Ausbauschritt 2023“ wurde das Referendum ergriffen, deshalb kommt es zur Abstimmung.  

 

Argumente der Befürworter:innen: 

  1. Die Autobahnen sollen dort, wo es oft zu Staus kommt, verbreitert werden. 
  2. Alle sollen das Verkehrsmittel frei wählen können, um möglichst ohne Zeitverlust ans Ziel zu gelangen. 
  3. Die Wirtschaft braucht gute Zufahrtswege. 
  4. Bei Überlastungen der Schnellstraßen weichen viele Lastwagen und Autos auf Nebenstraßen aus, die durch Dörfer und Wohnquartiere führen. Dieser Ausweichverkehr reduziert die Lebensqualität der Bevölkerung. Deshalb soll dieser Ausweichverkehr vermieden werden. 

 

Argumente von Gegnern und vom Referendumskomitee: 

  1. Zum Teil werden Autobahn-Abschnitte auf sechs Spuren ausgebaut, nur um wenige Staus zu vermeiden. Dass dieser Ausbau Mehrverkehr erzeugt, welcher zu neuen Staus führt, wird nicht berücksichtigt.  
  2. Der Autobahnausbau beansprucht weiteres Natur- und Kulturland und belastet die anliegenden Felder. Der öffentliche Verkehr benötigt für die gleiche Beförderungsleistung fünf- bis zehnmal weniger Fläche. 
  3. Je mehr Verkehr erzeugt wird, desto mehr Lärm und Abgase werden freigesetzt. 
  4. Das für diesen Autobahn-Ausbau geplante Geld könnte für sinnvollere Zwecke verwendet werden. Beispielsweise für häufigere und damit attraktivere Verbindungen im öffentlichen Verkehr, so dass die Autobenutzung auch in ländlichen Gebieten erheblich abnehmen kann. 

Das integrale Zukunftsbild

In einer integralen Gesellschaft bewegen sich die Menschen primär im Dorf wie im Quartier so, dass die Erfüllung der Grundbedürfnisse (Wohnen, Ernähren, Arbeiten/Freizeit, Begegnungen) ebenso gewährleistet ist wie die Gesundbewahrung der Mitwelt.  

Abstimmungsempfehlung:  NEIN 

Aus Sicht des Politischen Ausschusses führt die Initiative klar weg von der Integralen Vision.    

 

Unsere Überlegungen dazu:

    1. Der Straßenverkehr hat sich seit 1990 verdoppelt. Das hat mit der erhöhten Kaufkraft und dem damit veränderten Lebensstandard, sowie einer breit praktizierten Bequemlichkeit und dem Anwachsen der Bevölkerung zu tun. Aber vor allem wurde fast nichts für die Dezentralisierung der Wirtschaft beschlossen. Da braucht es noch ein starkes Umdenken.
    2. Wir zweifeln am Argument, dass der Ausweichverkehr mit diesem Beschluss vermieden wird. Die Erfahrung zeigt, dass mit dem Ausbau der Schnell-Strassen längerfristig Mehrverkehr erzeugt wird und die Flaschenhälse in die Städte verlegt werden. Der dadurch erzeugte Mehrverkehr wird dann zu einer verstärkten Belastung sogar in den Dörfern, welche man vorgeblich entlasten will.
    3. Alle Menschen, die kein Auto oder Fahrausweis besitzen, sind von der stetigen Verfügbarkeit eines Autos ausgeschlossen. Dazu zählen alle Nichterwachsenen, alle Nichtmehrfahrtüchtigen und alle Nichtzugelassenen. Alle diese Nichtautofahrenden sind auf den öffentlichen Verkehr angewiesen, welcher heute weniger subventioniert wird als der Straßenverkehr (die Ausgaben der Kantone und Gemeinden mitgerechnet). Der öffentliche Verkehr dient allen, der Autoverkehr aber fast nur den Autobesitzer:innen.
    4. Damit der öffentliche Verkehr sein tatsächliches Potential entfalten kann, braucht es eine Verminderung der Konkurrenzierung durch den Autogebrauch.
      Allerdings wollen wir nicht, dass mit der Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr das Gesamtverkehrsaufkommen ansteigt. Mit dem Ziel einer nachhaltigen Zukunft sollte die Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr nur so weit gefördert werden, wie damit der Autoverkehr reduziert werden kann. Es geht letztlich darum, dafür zu sorgen, dass viele Reisen nicht mehr nötig werden.
    5. Würden in den Autos jeweils 3 oder 4 Menschen (anstelle der aktuellen 1,1)mitfahren, dann würden viele Strassen stark entlastet. Wir wünschen uns, dass auch dieses Anliegen konkret vorangebracht wird.
    6. Die Autofahrenden selbst zahlen mit den Treibstoffzöllen nur einen Teil der Straßenverkehrs-Ausgaben. Das ist nicht verursachergerecht. Konsequenterweise würde das heissen, dass auch der ÖV nicht subventioniert, sondern verursachergerecht finanziert wird.
    7. Das Potential zum Umsteigen vom Autofahren auf den öffentlichen Verkehr und aufs Fahrrad ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

       

Die besonderen Anliegen der IP

Die Suche nach verträglicheren Lösungen soll gefördert werden. Insbesondere wünschen wir uns, dass nicht nur die Symptome gelindert werden – das braucht es auch – wichtiger ist, dass gleichzeitig die Ursachen gesamtheitlich angegangen werden. 

 

2 – Änderung des Obligationenrechts  

(Mietrecht: Untermiete)  

 

Was die Vorlage will

Heute darf ein:e Mieter:in die Wohnung, das Geschäftslokal oder einzelne Räume untervermieten. Manchmal fehlt jedoch die erforderliche Zustimmung des:r Vermieters:in oder die Wohnung wird zu teuer untervermietet. Das Parlament will solche Missbräuche verhindern und die Regelungen im Obligationenrecht ändern.  

Gegen die Vorlage wurde das Referendum ergriffen, darum kommt es zur Abstimmung. 

 

Das integrale Zukunftsbild

In einer integralen Gesellschaft leben die Menschen oft in Gemeinschaften, die Vielfalt, Inklusion und Kooperation betonen. Die Menschen nehmen ihre Verantwortung für sich selbst und für die Gemeinschaft wahr und helfen sich gegenseitig so, dass alle ein ihnen dienliches Zuhause bewohnen können.

Abstimmungsempfehlung: Nein.  

Die Erschwerung der Bedingungen für eine Untermiete führt weg von der integralen Vision. 

 

Die besonderen Anliegen der IP

  1. In einer integralen Gesellschaft wird das Thema Untermiete vermutlich anders angegangen als in traditionellen Gesellschaften. Hier sind einige Ansätze, wie damit umgegangen werden könnte: 
  2. Wir denken, dass das Grundrecht auf Wohnen höher gewichtet werden sollte als die kommerziellen Aspekte und die Erleichterung von Kündigungen. Dabei denken wir nicht an ein Leben in Luxus, sondern an ein verlässliches Wohnen, welches den Gemeinschaftssinn stärkt und das Wohlbefinden steigert. 
  3. In einer integralen Gesellschaft erübrigen sich Regelungen rund um Missbräuche, weil kein Mangel besteht und sich niemand mehr benachteiligt fühlt. 
  4. Wird in einer Gemeinschaft der Wunsch nach einem Wohnungswechsel geäussert (auf Grund des aktuellen Lebensabschnittes oder betreffend eine andere Lebensform oder aus gesundheitlichen Gründen oder wegen gemeinwohl-ökonomischen Dienstleistungen*), wird dieser Wunsch ernst genommen. Die Menschen kooperieren und suchen gemeinsam nach einer Lösung. 
  5. In einer integralen Gesellschaft arbeiten Menschen zusammen, um gemeinsame Ziele zu erreichen, zum Beispiel in Wohnprojekten oder in Nachbarschaftsinitiativen.  
  6. Ökologische Praktiken wie gemeinschaftliches Gärtnern, erneuerbare Energien und ressourcenschonende Bauweisen sind ebenfalls wichtige Anliegen.  
  7. Die Gesellschaft fördert verschiedene Kulturen, Hintergründe und Lebensweisen. Wohnräume sind oft so gestaltet, dass sie Zugänglichkeit und Interaktion ermöglichen.  
  8. Menschen leben möglicherweise in vielfältigen Wohnformen, von Mehrgenerationenhäusern über Co-Housing-Modelle bis hin zu kleinen, nachhaltigen Gemeinschaften. 
  9. Das Verhältnis Mieter – Vermieter – Untervermieter ist Vergangenheit.  

 

*Anmerkung: Gemeinwohlökonomische Dienstleistungen sind Leistungen, die darauf abzielen, das Gemeinwohl zu fördern und soziale sowie ökologische Nachhaltigkeit zu unterstützen. Sie unterscheiden sich von marktgetriebenen Dienstleistungen, da sie nicht primär auf Profitmaximierung ausgerichtet sind, sondern auf die Verbesserung der Lebensqualität und den Schutz von Gemeinschaft und Umwelt.

3 – Änderung des Obligationenrechts  

(Mietrecht: Kündigung wegen Eigenbedarfs) 

 

Was die Vorlage will

Die Bundesverfassung schützt das Eigentum. Das wirkt sich auch auf das Mietrecht aus. 

In der Folge sieht das geänderte Obligationenrecht vor, dass Eigentümer:innen von vermieteten Wohnungen oder Geschäftsräumen diese rasch selbst nutzen können. Dieser sogenannte dringende Eigenbedarf spielt insbesondere in drei Fällen eine Rolle: 

Erstens darf, wer eine Immobilie kauft, den Mieter:innen mit der gesetzlichen Frist von drei Monaten bei Wohnungen und von sechs Monaten bei Geschäftsräumen kündigen – auch wenn der bestehende Mietvertrag eine längere Kündigungsfrist vorsieht. 

Zweitens dürfen Eigentümer:innen bei Eigenbedarf auch während der dreijährigen Sperrfrist kündigen, die nach einem Rechtsstreit mit der Mieterschaft gelten kann. 

Drittens spielt der Eigenbedarf im Zusammenhang mit der sogenannten Mieterstreckung bei Härtefällen eine Rolle. Diese ermöglicht es Mieter:innen, nach einer Kündigung länger in der Wohnung oder in den Geschäftsräumen zu bleiben. 

 Gegen die Vorlage wurde das Referendum ergriffen, daher kommt es zur Abstimmung. 

 

Das integrale Zukunftsbild

In einer integralen Gesellschaft leben die Menschen oft in Gemeinschaften, die Vielfalt, Inklusion und Kooperation betonen. Die Menschen nehmen ihre Verantwortung für sich selbst und für die Gemeinschaft wahr und helfen sich gegenseitig so, dass alle ein ihnen dienliches Zuhause bewohnen können.

 

Abstimmungsempfehlung: Nein.  

Solange es das Verhältnis Mieter – Vermieter gibt, brauchen wir weiterhin einen verlässlichen Mieterschutz. Die vorgeschlagenen Änderungen gehen in die entgegengesetzte Richtung der integralen Vision. 

 

Die besonderen Anliegen der IP

  1. Wir finden es erstaunlich, dass die Kündigungsfrist bei Mietwohnungen nur drei Monate beträgt, wogegen Geschäftsräume „erst“ nach sechs Monaten gekündigt werden können. 
  2. Eine Wohnungsmiete ist keine Ware, auf die man verzichten kann. Die Mieter:innen sind belebte Wesen, die nicht hin- und hergeschoben werden dürfen. 
  3. Miete kann nur einigermassen nach sozial verträglichen Kriterien funktionieren, wenn es einen reichhaltigen, an den Kosten orientierten Wohnungsmarkt gibt. Beim heutigen sehr knappen Wohnungs-Angebot und der zusätzlichen Wert-Steigerung der Wohnungen steigen die Wohnungs-Mieten. Im Extremfall wird damit eine Vermietung unattraktiv. Wenn dann die Vermietenden noch vielen Mieter:innen kündigen, erhöhen sich Kosten für Mietwohnungen zusätzlich. 
  4. Besagte Änderungen klingen beim ersten Lesen nachvollziehbar. Beim zweiten Lesen fragten wir uns: Warum wurde der Begriff ‚dringend‘ durch ‘objektiv zu beurteilen’ ersetzt? Für ‚aktueller Bedarf‘ steht jetzt ‘bedeutend’. Welchem Zweck dienen diese Begriffswechsel? 
  5. Die Vorlage hat immerhin gut zehn Jahre des Ringens hinter sich und erscheint jetzt in der neuen Formulierung schwammig und kann einseitig ausgelegt werden zugunsten der Vermieter:innen. Deshalb raten wir zu einer erneuten Überarbeitung, damit auch ein verbesserter Schutz der Mieter:innen Eingang findet. 

4 –Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG)

(Einheitliche Finanzierung der Leistungen) 

 

Was die Vorlage will

Die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) werden heute je nach Bereich unterschiedlich finanziert. Die Kantone finanzieren mindestens 55 Prozent der Kosten der stationären Leistungen (mit Übernachtung im Spital), höchstens 45 Prozent werden mit Prämien finanziert. Ambulante Leistungen (ohne Übernachtung) werden vollständig durch Prämien finanziert. Für Pflegeleistungen leisten die OKP und die Pflegebedürftigen je einen Beitrag, die Kantone sind für die Restfinanzierung zuständig. 

  Anlass zur aktuellen Vorlage einer Gesetzesänderung ist die Annahme, dass Behandlungen im ambulanten Bereich günstiger seien, eine Verlagerung in diesen Bereich jedoch durch die Subventionierung von stationären Leistungen aus Steuergeldern behindert würden.  

Das Parlament hat am 22. Dezember 2023 eine KVG-Änderung zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen verabschiedet.  

 Gegen die Vorlage wurde das Referendum ergriffen, daher kommt es zur Abstimmung. 

 

Argumente der Befürworter:innen: 

  1. Durch eine einheitliche Finanzierung werden Leistungserbringer und Versicherer dazu ermuntert, die jeweils beste Lösung für das Patientenwohl zu treffen und auf unsachgemässe Entscheide zu verzichten, weil aus der Wahl des Behandlungsweges für sie keine Kostenvor- oder nachteile mehr entstehen. 
  2. In den letzten Jahren hat der Anteil der Gesundheitskosten, der mit Prämien finanziert wird, stetig zugenommen. Dies belastet kleine und mittlere Einkommen besonders. Mit der Reform beteiligen sich die Kantone wieder mehr an den Kosten. Damit soll der Prämienanstieg gedämpft werden, wird beschrieben.  
  3. Die einheitliche Finanzierung fördert die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeutinnen, Pflegenden, Spitälern und Pflegeheimen, weil entsprechende Modelle für die Akteure attraktiver werden. Diese koordinierte Versorgung nützt den Patient:innen, indem Gesundheitsprobleme rascher erkannt, unnötige Behandlungen vermieden und die Versorgungsqualität verbessert werden.  

 

Argumente von Gegnern und vom Referendumskomitee: 

  1. Die Reform des Krankenversicherungsgesetzes zur Finanzierung der Leistungen (EFAS) ist das Ergebnis einer Lobby-Offensive der Krankenkassen und privater Investorengruppen. Sie muss abgelehnt werden. Die Krankenkassen dürfen nicht die Kontrolle über unser Gesundheitssystem übernehmen.  
  2. Das erste Risiko besteht darin, dass die Politik, die Krankenversicherer und die Kantone in den nächsten Jahren viel Aufwand für Themen betreiben, die nichts oder nichts Wesentliches zur Verbesserung der Qualität oder der Effizienz des Gesundheitswesens beitragen.  
  3. Seit 26 Jahren Krankenversicherungsgesetz bestehen nach wie vor keine transparenten Kostenausweise oder einheitlichen Rechnungslegungsvorschriften, die ermöglichen würden, Kosten und Vergütungen von Leistungen einander gegenüberzustellen.   
  4. Das zweite Risiko besteht darin, dass bestehende Kontrollmechanismen der Kantone, die das Leistungsgeschehen zumindest im stationären Bereich überwachen, geschwächt werden. Damit könnten unnötige oder unwesentliche Eingriffe an Patient:innen mit leichten Beschwerdebildern weiter zunehmen und die Kosten steigern.  
  5. Das dritte Risiko besteht im Bereich der Pflegefinanzierung, wo heute kantonal sehr unterschiedlich ausgelegte Finanzierungs- und Kontrollsysteme bestehen. Diese sind zwar nicht perfekt, haben aber in den letzten 20 Jahren nicht zu grösseren Missbräuchen und Skandalen geführt. Deshalb sollen die aktuellen Regelungen, die sich recht gut bewährt haben, nicht durch eine ganz neue Regelung ersetzt werden, welche die Finanzierungskontrolle erfahrungsgemäss erstmal verschlechtern. 
  6. Die im Bereich der Langzeitpflege geplante Einführung eines neuen Tarifsystems führt zu einem Kostenschub, bevor die Kontrollmechanismen greifen. Gleiches gilt für die Kontrolle von Mindeststandards und Qualität in den Pflegeheimen, was zunächst einmal mehr Kosten und schlechtere Behandlungsqualität für die unmittelbar Betroffenen riskiert. 

 

Das integrale Zukunftsbild

Eine integrale Gesellschaft kümmert sich sorgfältig um das Wohlergehen aller Mitmenschen jeden Alters. Sie organisiert ihre Gesundheitsversorgung so nah wie möglich am Menschen und seinen Bedürfnissen sowie an seiner Mitwelt. Daraus wächst Nähe und Vertrauen als Grundlagen für existentielle Entscheidungen. Dabei sind sich die Menschen bewusst, dass ihre eigene Selbstreflexion und Lebensführung die Grundlage ist für ihre eigene Gesundheit.  

Abstimmungsempfehlung: NEIN 

Die Änderung dieses Bundesgesetzes trägt nichts Wesentliches zum Erreichen des Ziels einer umfassenderen Gesundung der Menschen bei. 

 

Unsere Überlegungen dazu:

  1. Das Bestreben, Abläufe und Vergütungsprozesse zu vereinfachen und allenfalls zu vereinheitlichen, ist grundsätzlich wünschenswert. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass zuerst eine einheitliche Transparenz über Kosten und Vergütungen hergestellt würde, damit wir wissen, was wir warum zu finanzieren haben.  
  2. Fallen unnötige Übernachtungen im Spital weg, können wohl Teile des Pflegepersonals dank weniger Nachtschichten und regelmässigeren Arbeitszeiten davon profitieren. Dem steht gegenüber, dass kürzere Aufenthalte im Spital mangels Ruhe und konstanter Pflege oft eine raschere Rückkehr von Patient:innen zur Folge hat.  
  3. Die Versprechen der vorliegenden Gesetzesänderung sind sowohl bezüglich erwarteter Verhaltensänderungen als auch bezüglich möglicher finanzieller Einsparungen weitestgehend spekulativ und scheinen eher private Interessen von Kassen und Leistungserbringern zu fördern. 
  4. Eine starke Mitbeteiligung der Kantone ist im bestehenden Krankheitssystem finanziell sozialer (da durch Steuern finanziert) und für eine relevante öffentliche Kontrolle unabdingbar. 
  5. Es braucht dringend eine deutlich höhere Transparenz der Gesundheitskosten, um die zunehmende Mehrbelastung des Personals und allgegenwärtige Tendenzen der Selbstbereicherung von privaten Leistungserbringern und bereichsnahen Institutionen zu verhindern. 
  6. Dem würde auch eine sorgfältige Recherche über die tatsächlichen Zahlen ambulanter Behandlungen beziehungsweise stationärer Aufenthalte sowie deren Dauer und rezidive (mehrfach in derselben Fallführung) Wiedereintritte dienen. 

 

Die besonderen Anliegen der IP

  1. Für eine nachhaltige Gesundheit brauchen wir das Miteinander aller Beteiligten und Betroffenen. Heilsames kann nur im bewussten Austausch mit der Mitwelt geschehen.  
  2. Gerne verweisen wir auf unser Positionspapier ‘Integrale Gesundheit’, in dem unser Verständnis von Gesundheit tiefergehend erläutert wird:  
    https://integrale-politik.ch/grundlagen/#gesundheit 
  3. Die aktuelle Vorlage bringt in diesem Sinne keinerlei Verbesserung, weil nach wie vor “Krankheit” anstelle von “Gesundheit” das System von Grund auf bestimmt. Das heutige Krankensystem braucht kranke Menschen, weil darin gesunde nicht rentabel sind.  
  4. Das System muss als solches grundsätzlich hinterfragt werden. Bei der Behandlung von Kranken darf es nicht mehr um Profit gehen, sondern um wirkliche Heilung. Neben unbestreitbaren medizinischen Fortschritten hat sich die ‘Krankenpflege’ mehr und mehr auf die medizinische Behandlung von Krankheiten (oft nur der Symptome) verlegt. Dabei kommt die Pflege der kranken Menschen im Sinne der allgemeinen Unterstützung ihres eigenen Gesundwerdens mehr und mehr zu kurz. 
  5. Bei der Finanzierung soll sowohl die Höhe der Einkommen der Menschen als auch die Art und Weise, wie diese generiert werden, mehr Berücksichtigung finden.  
  6. Wir würden uns wünschen, dass das heute bestimmende, nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien funktionierende Konkurrenzverhalten zwischen Krankenkassen, zwischen Spitälern und weiteren Playern sich in Kooperations-Körperschaften wandeln würde, die dem übergeordneten Ziel dienen:  
    Was ist das Beste für den:die  Patient:in und die gesunden Menschen? 

 

5 Antworten

  1. Die meisten von uns NormalbürgerInnen sind auch, über den Daumen gepeilt, NormalverdienerInnen. Darum muss ein Grossteil der Menschen in unserem Land darauf achten, wofür sie ihr Geld ausgeben. Aufgrund „günstigerer Mieten“ wohnen viele auf dem Land, sind aber dafür auf Mobilität angewiesen. Da der ÖV im Vergleich zum Auto viel zu teuer ist bleiben die Menschen halt beim Auto.
    Die Devise müsste also sein: ÖV-Tarife über Steuergelder so verbilligen, damit das Autofahren zunehmend unattraktiv wird!
    Infos seitens Verkehrskosten könnte eine Arbeitsgruppe der Integralen Politik ins Netz stellen als Grundlagenpapier für weitere Diskussionen. Mit der Erhöhung des Benzinpreises erreichen wir keine Verbesserung der Lebensqualität für einen Grossteil der sogenannten „NormalbürgerInnen“!

  2. Liebe Integrale!
    Ich bin immer sehr sehr dankbar für Eure Wahlempfehlungen. Ihr macht da immer eine grosse und sehr nützliche Arbeit. Ihr beleuchtet die Abstimmungen jeweils von allen Seiten. Das ist eindrucksvoll und für mich immer sehr hilfreich, um meine eigene Wahl zu treffen.
    Mit herzlichem Gruss, William

  3. Vielen Dank für die Hilfestellungen und Eure sorgfältigen integralen Überlegungen.
    Ergänzend zum Kommentar von Christoph Notter wegen des Ausweichens auf das Land: Wegen der günstigen Mieten ziehen viele auf das Land und müssen dann das Auto vorziehen. Die Frage ist ja auch, weshalb die Mieten im städtischen Umfeld so hoch sein müssen. Die Mechanismen die hier beschrieben werden zeichnen das Bild der sich immer schneller drehenden Kreisbewegung. Nichts grundlegend Neues, wenn Bestehendes einfach mehr subventioniert wird, um es erschwinglich zu halten. Ich verweise da gerne auf die regenerative Kultur nach Daniel Christian Wahl. Ich halte zwar die Dichotomie von richtig und falsch, die dort auftaucht, wenig förderlich. Er gibt aber viele Hinweise in eine andere Denkweise, die dem Integralen näher kommt. Der integrale Ansatz versucht alle Aspekte zu beleuchten. Es geht um neue Lebens- und Wirtschaftsformen, bei denen das lokale Wirken wieder in den Vordergrund gestellt wird und eine Absicherung im lokalen Umfeld, anstelle einer Abhängigkeit von globalen Export- und Importwegen. Mit den modernen Errungenschaften und Technologien, sollte es möglich sein, ausgewogen zu wirtschaften, in der alles Leben seinen Platz hat. Das heisst aber auch, dass nicht mehr alles zur gleichen Zeit verfügbar sein kann. Herzliche Grüsse, Thomas

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